Plastikaffen

Unser Interview mit dem Kunststoffexperten Dr. Harald Käb

Nachhaltigkeit ist kein Zustand, sondern ein Weg der stetigen Verbesserung

Harald, kannst du dich einmal kurz vorstellen und sagen, was Du mit Kunststoff zu tun hast und auch warum?

Ich bin ausgebildeter Chemiker und seit mehr als 25 Jahren vollberuflich im Bereich "Chemie und Kunststoffe aus erneuerbaren Rohstoffen" unterwegs - 20 Jahre davon als unabhängiger Berater. Beruflich bin ich ein harter Hund, denn ich kann es mir leisten, als einziger aufzustehen, wenn alle anderen sitzen bleiben, und kritische Fragen stellen. Privat bin ich der, der keinen Fitzel Müll in die Natur schmeißt, denn so wurde ich erzogen.  Ich habe grüne Wurzeln und die "materielle Rohstoffwende" zu meinem Lebensthema gemacht. Außerdem bin ich großer Kunststoff-Fan!

Was findest Du an Kunststoff so toll und wie denkst Du generell über das Material Plastik im Verpackungssektor?

Wer Kunststoffe per se ablehnt, hat keine Vorstellung von ihren sehr starken Leistungen. Unsere Moderne ist materiell auf Kunststoffe begründet - im Verpackungsbereich sind sie nach wie vor oft die beste Wahl, wenn es um effizienten Produktschutz geht. Die mit ihrer Nutzung verbundenen Probleme sind vor- und nachgelagert. Dabei gilt (verkürzt!): Fossile Rohstoffe haben keine Zukunft, und die Bemühungen zur Kreislaufwirtschaft sind bisher wenig erfolgreich. Nicht anzulasten ist Packkunststoffen das Fehlverhalten der Nutzer. Wir müssen zusehen, dass wir unserer "Wegwerfgesellschaft" ein Ende machen.

Ist Kunststoff deiner Meinung nach ersetzbar, wenn ja, womit? Wenn nein, warum?

Es macht ökologisch oft wenig Sinn, Kunststoffe gegen andere Materialien wie Glas, Metall oder Papier zu ersetzen, weil deren Herstellung oft schwerer und aufwändiger ist und die Umwelt noch stärker belastet. Auch Recyclingfasern kann man nur begrenzt einsetzen. Im Lebensmittelsektor z.B. kommen Rezyklate (das sind aufbereitete und somit wiederverwertbare Kunststoffe mit definierten Eigenschaften) aufgrund von Hygiene- und Lebensmittelsicherheitsrichtlinien meist gar nicht in Frage.

Heute wird gern behauptet, dass Kunststoff durch Papier ersetzbar ist. So wird z.B. gerade eine Papiertube für Kosmetika als „innovativer Durchbruch“ gefeiert. Aber damit die Tube den wertvollen Inhalt schützt, wird hier mit einem wahrscheinlich sehr hohen Bindemittelanteil - das sind flüssige Kunststoff-Kleber - oder Kunststoffschichten gearbeitet. Und dass das Produkt weder im Kunststoff- noch im Papierstrom recycelbar sein wird, wird auch verschwiegen. Das ist bewusste Fehlinformation. Papier kann nicht leisten, was Kunststoff leistet, denn Papier hat weder die mechanischen Eigenschaften und schon gar nicht die Barriere gegen Wasser oder Sauerstoff, den die Inhalte brauchen.

Wo siehst du das größte Einsparpotential?

Man kann den Verbrauch nur in Maßen reduzieren. Wenn das Produkt den Schutz verliert und ungenutzt vergammelt, ist der Schaden um den Faktor 10 und mehr größer. Heute heißt es nach Mehrweglösungen suchen. Ich hoffe, innovative Dienstleister können hier Schwung erzeugen.

Aber vor allem muss man die Rohstoffbasis der Kunststoffprodukte ändern: weg von fossiler Neuware, hin zu bio-basierten und recycelten Kunststoffen mit geringerem CO2 Ausstoß. Recycling ist heute im Fokus, aber aufgrund der oft nicht ausreichenden Qualität der Rezyklate und den hohen Ansprüchen an Produktsicherheit eine nur beschränkt taugliche Lösung. Kunststoffe aus erneuerbaren Rohstoffen, Agrarpflanzen, organischen Reststoffen oder auch CO2, sind deshalb wirklich wichtig. Wir brauchen klare Vorgaben zum Einsatz dieser nachwachsenden und recycelten Anteile – und das kann am Ende nur der Gesetzgeber leisten. Ebenso wie die Einführung einer entsprechenden CO2-Steuer (50-80 EUR / Tonne heute, in Richtung 150 EUR bis 2030). Wenn CO2 Emissionen massiv gesenkt werden, gehen alle möglichen schädlichen Umwelteffekte zurück. Angesichts der Zeitknappheit ist dieser Fokus auf konsequenten Klimaschutz elementar wichtig.

Wo entsteht mehr CO2: bei der Herstellung oder bei der Entsorgung?

Bei der Herstellung - hier wird der Kohlenstoff-Fußabdruck festgelegt. Wieviel man davon anteilig wiedergewinnt, entscheidet das Recycling. Setzt man Rezyklate als Ersatz von Neuware in Kunststoffverpackungen zu 100% ein, dann lassen sich grob etwa 50% CO2 einsparen. Das ist sehr gut, aber bis auf Ausnahmen in der Praxis kaum machbar, meist lässt sich nur ein Teil des Kunststoffs durch Rezyklat ersetzen.

Welche Initiativen findest du sinnvoll und welche überhaupt nicht oder sogar kontraproduktiv und warum?

Gespannt bin ich darauf, ob es nun gelingt die gesammelten Kunststoffabfälle kreislauffähig zu machen. Das wurde zuletzt allseits versprochen, vor allem durch verbesserte Sortierung und Recyclingtechnik. Dass man Kunststoffabfälle nicht mehr so leicht exportieren darf, das war überfällig und ist jetzt neu und richtig. Wir haben viel zu viel (angeblich) "recycelten Kunststoffabfall" weggeschafft und in anderen Ländern (vor allem in Asien) Probleme erzeugt. Die an der Recycling W­irtschaft Beteiligten haben die Aufgaben und Probleme einfach exportiert und Dritten überlassen, was sie weit entfernt oft noch vergrößerten (Stichwort "Meeresmüll"). Das war und ist falsch und ungerecht dazu. Jetzt wird es hier ernst, das ist erst einmal gut so.

Als kontraproduktiv erachte ich zudem, dass immer noch nicht ehrlich auf Basis des heutigen und zukünftig halbwegs sicher projizierbaren Sachstands diskutiert und agiert wird. Aussagen wie „Das Klimapaket kostet nichts“ sind schlichtweg falsch. Und das Potenzial des Recyclings wird bei Kunststoffen meines Erachtens gegenüber der Öffentlichkeit als zu positiv dargestellt. Doch auch das Plastik-Bashing geht am Kern oft weit vorbei.

Was regt dich am meisten im Hinblick auf das Thema auf? Was könnte man besser machen?

Was mir massiv missfällt ist Unehrlichkeit als taktisches Manöver, Unterschlagen von gravierenden Nachteilen. Das Gegenteil davon, auch wenn man damit keine perfekte Geschichte erzählen kann, gefällt mir. Wenn man sich ehrlich macht, wird man handlungsfähiger.

Unternehmen sind beim Thema „Verpackung“ einem irrwitzigen Druck ausgesetzt. Dabei spielen viele Faktoren mit, die man oft gar nicht selbst im Griff hat. Jahrzehntelang haben alle weggeguckt. Jetzt geht das nicht mehr. Hersteller müssen nach Lösungen suchen und in neue Technologien investieren. Und die Kunden müssen sich bewusst entscheiden: Zu wem fasse ich Vertrauen, wem kaufe ich was ab? Der informierte Konsument, der mit seiner Kaufentscheidung seine Überzeugung zum Ausdruck bringt, kann großen Einfluss nehmen. Dazu muss er wissen, dass Umweltschutz etwas kostet - und zwar sein Geld. Wer etwas anderes sagt, hat nur kurzfristige Interessen im Sinn. Lange Zeit ging es in die falsche Richtung, alles wurde immer billiger, zumindest oberflächlich. Den wahren Preis hat die Natur bezahlt bzw. wir mit der Qualität unseres Lebensraums. Das ist vorbei - jetzt ist Pay Day. Wer informiert ist, wird das akzeptieren. Dann haben wir eine Chance, denn wir können es viel besser machen!

Kannst Du uns Beispiele für echte Lösungsansätze geben?

Der Traum ist, alles aus erneuerbaren Rohstoffen herzustellen. Vieles ist auch jetzt schon machbar. Zum Beispiel könnte man aus deutschen Zuckerrüben Polymere* herstellen. In Zeiten wo die Zuckernachfrage im Lebensmittelsektor rückläufig ist, würden sich Zucker-Hersteller über ein neues Standbein freuen.

Auf Zuckerrohr basiertes PLA (Polylactide**) gibt es bereits und kann eingesetzt werden, wenn man nur will. Auch aus Methan, zum Beispiel aus Vergärungsanlagen, kann PLA hergestellt werden. Das wäre technologisch aufwändig und noch gibt es dafür keine Maschinerie, aber wenn die Nachfrage da wäre, würde das losgehen!

Am Anfang kostet der Wechsel immer erstmal mehr Geld. Man kennt das ja vom Ökostrom. Irgendwann gehen die Preise auch wieder runter. Aber im Moment muss Klimaschutz an erster Stelle stehen. Und mit bio-basierten Verpackungen können wir da richtig punkten!

Das heißt, der Konsument muss bessere Verpackungen verlangen und bereit sein, dafür auch mehr zu bezahlen. Was kann er sonst noch tun?

Nichts wegwerfen! Trennt eure Abfälle möglichst gut und bringt alles in die Systeme. Und damit ist euer Job dann getan. Ab da ist die Gesetzgebung dran. Die muss das Thema Kreislaufwirtschaft endlich ernst nehmen, die Sammelsysteme im Hinblick auf Recyclingfähigkeit optimieren und strenger kontrollieren. Dort muss aber auch der Spielraum entstehen, in bessere Technik zu investieren.

Was hältst Du von Projekten wie z.B. die Jutebeutelsammelaktion für ein portugiesisches Ladencafé, das seinen Kunden der Umwelt zuliebe keine Tüten für die gekauften Waren anbietet? Bringt das was?

Ja! Solche Kleinstinitiativen sind toll, inspirierend und sollte man weiter etablieren. Haben wir nicht eh alle irgendwo zu viele Jutebeutel rumliegen, die an anderer Stelle gut gebraucht werden können? Mit derartigen Ansätzen kommt man einer Kreislaufwirtschaft auch näher.

Was inspiriert Dich sonst noch? Was findest du bei diesem Thema gut und zielführend?

Ich finde Greta Thunberg extrem inspirierend, denn sie ist fokussiert: "Nur die Klimakatastrophe gilt es zu verhindern, alles andere ist Beiwerk und kann später in Angriff genommen werden. Ohne stabilen Planeten wird alles im Chaos enden – folgt der Wissenschaft und tut endlich etwas!". Sie hat recht damit, und sie inspiriert nicht nur mich, sondern Abermillionen Menschen. So kann die starke Bewegung entstehen, die wir brauchen - und die Uhr tickt.

Zielführend ist, wenn es Menschen gelingt - trotz Komplexität und Gefangensein in Widersprüchen sowie ökonomischen Zwängen (billig billig!!) - sich aufzumachen und neue Wege zu gehen. Auch wenn Widersprüche bleiben. Nachhaltigkeit ist kein Zustand, es ist ein Weg der stetigen Verbesserung.

Was ist dein persönliches Rezept diese Spannung zwischen Anspruch und Möglichkeit - das Leben in den Widersprüchen - auszuhalten?

Keinen Frust aufkommen lassen. Ich finde es unglaublich schön, auf der Welt zu sein. Gerade jetzt, wo wir endlich aktiv werden und richtig Bewegung reinkommt. Es ist noch gar nicht lange her, da wussten die meisten nicht einmal, dass Kunststoff aus Erdöl hergestellt wird und dass das so oder so nicht zukunftsfähig ist. Aber inzwischen lernen die Leute immer mehr dazu und lassen sich nicht von jeder Greenwashing-Strategie für dumm verkaufen. 

Ich bin begeistert davon, an diesem irren Experiment "Revolutionäre Mutation der Affen on Planet Earth"  teilnehmen zu dürfen. Was für `ne Show! Wenn wir es nicht gebogen bekommen, haben wir trotzdem gerockt, wie nie eine Spezies zuvor. Immerhin! Und sollten wir es schaffen, unsere heute schon im Ansatz sichtbaren Möglichkeiten zu nutzen, erobern wir neue Dimensionen und lassen das Affige bald weit hinter uns.

Wenn Du der „Bestimmer“ wärst, was würdest du sofort tun?

Ich würde wie Greta in Aufklärung investieren. Gebt mir und den vielen anderen sachlich-technisch-wissenschaftlich fundierten Aufklärern, die frei sind von ökonomischen Partialinteressen, jeden Tag "10 unvermeidliche Minuten" zur Primetime, ob in der Tagesschau, auf Facebook oder Instagram - und wir bauen zusammen eine nachhaltige und gerechte Welt.

Und bis es soweit ist, kann man Dir auf  Twitter  folgen.

Richtig, da läuft meine One-Man-Show jetzt schon.

Abgesehen von einer richtig guten Kreislaufwirtschaft, in der alles aus erneuerbaren Rohstoffen hergestellt wird, was wünschst Du Dir?

Ich wünsche mir eine Gesellschaft, die zurück zur Ehrlichkeit kommt. Hier geht ein großer Dank an MOIN, ein Unternehmen, das zu seinen Konflikten steht und sich um eine offene Kommunikation mit seinen Kunden bemüht, um gemeinsam bessere Wege zu finden.

Deine Empfehlung an die Menschen, die nachts von Plastikmüllinseln im Meer träumen:

Konkret: Lest mehr philosophische Texte, macht das Handy und Internet öfters aus. Und sowieso immer: Seid nett zueinander und zum Planeten, und gebt euer Bestes.

Vielen Dank, Harald Käb!

* Polymere sind ein aus Makromolekülen bestehender Stoff (polymere Verbindungen)

** Polylactide, auch Polymilchsäure genannt, ist ein Produkt der Fermentation aus Zucker und Stärke durch Milchsäurebakterien.

  Header Bild von Park Troopers (unsplash)